Warum bringen Hasen Ostereier?
Das Ei hat die Menschen schon immer fasziniert – als Sinnbild der von einer Hülle umschlossenen Ganzheit, als Symbol des Lebens und der Schöpfung. Die Ägypter glaubten, der Sonnengott Re schwinge sich aus einem Ei empor. Nach phönizischer Vorstellung ist das Weltganze aus einem Ei entstanden, nach indischer sitzt der Gott Brahma in einem goldenen Ei, bis er es in zwei Stücke zerbricht und daraus Himmel und Erde macht. Und im germanischen Volksglauben stand das Ei für besondere Fruchtbarkeit. Das Christentum gab solchen heidnischen Überzeugungen im 12. Jahrhundert eine theologische Wendung. Die zerbrochene Schale wurde als das leere Grab Christi gedeutet, aus dem der Heiland in den Himmel aufgefahren ist. Seitdem stehen das christliche Fest der Auferstehung und das weltliche Gelege des Huhns in symbolischer Beziehung zueinander.
Daß das Osterei zu einem christlichen Symbol wurde, hatte auch einen praktischen Grund. Seit Ende des 7. Jahrhunderts bis zum Zweiten Vatikanischen Konzil im Jahr 1965 war es Christen verboten, während der vierzig Tage dauernden Fastenzeit Fleisch zu essen; Eier wurden als „flüssiges Fleisch“ mitgerechnet. Da die Hühner mit den länger werdenden Tagen des Frühjahrs mehr Eier legten, hatten sich zu Ostern ein Eierüberschuß gesammelt, der schnell verzehrt werden mußte. Im Mittelalter lieferten die Bauern am Gründonnerstag einen Teil der Eier als Naturalzins bei ihren Lehnsherren ab. Den anderen Teil brachten sie in die Kirche, wo er zu Ostern die „benedictio ovorum“, den Eiersegen, erhielt. Anschließend wurden die Eier gegessen. Vom Eiersalat bis zum in Essig eingelegten Solei hat sich dieser Brauch bis heute erhalten.
Die segenspendenden Eier wurden rot gefärbt, damit man sie von den ungeweihten Eiern unterscheiden konnte. Die Farbe symbolisierte zugleich das Blut Christi. Der Brauch des Eierfärbens stammt aus der griechischen Antike. Er wurde zunächst von der oströmisch-orthodoxen Kirche aufgenommen und dann von Wandermönchen nach Westeuropa gebracht.
Im Zuge der Säkularisierung geriet das Ei zum ästhetischen Dekorationsobjekt in einer entzauberten Welt. Schlichte Färbung reichte nicht mehr aus. Wohlhabende Bürger und Adelige schenkten sich seit der Barockzeit prachtvoll verzierte Ostereier. Ludwig XV. ließ seine Ostereier von Künstlern wie Boucher und Watteau mit idyllischen Landschaftsszenen bemalen. Berühmt sind auch die Eier, die die russischen Zaren Alexander III. und Nikolaus II. beim Hofjuwelier Faberge in Auftrag gaben. Ostern 1897 überreichte Zar Nikolaus II. seiner Gemahlin ein mit Diamanten besetztes Goldei. Innen verbarg sich eine Miniatur der Königskutsche mit purpurrot emaillierten Sitzkissen. Drei Jahre später konnte sie in einem mit dem Kaiseradler aus Gold und Silber gekrönten Ei eine Replik der Transsibirischen Eisenbahn entdecken, die sich durch feine Mechanik in Bewegung setzen ließ. Im Jahr 1916 bekam sie, ebenfalls passend zur Zeit, eine auf vier Miniaturgeschossen ruhendes Stahlei mit Goldapplikationen.
Diese Eier wurden als Geschenke überreicht, nicht gesucht. Daß man Ostereier versteckt, ist aber ebenfalls ein Nebeneffekt der Säkularisierung. Im katholischen Brauchtum gab es keinen Grund, Eier zu verstecken – sie wurden einfach in die Kirche gebracht. In einigen Gegenden sprach man den Eiern allerlei Wunderkräfte zu, was protestantischen Erziehern suspekt vorkam. Deshalb suchten sie nach natürlichen Erklärungen für den österlichen Eiersegen. Je nach Landschaft schrieb man ihn einem anderen Tier zu: in Sachsen dem Hahn, im Elsaß dem Storch, in der Schweiz dem Kuckuck und in Hessen dem Fuchs. In Süddeutschland wurde 1638 erstmals der Hase für die Ostereier verantwortlich gemacht. Etwa hundert Jahre später hatte er sich auch in anderen Landesteilen gegen seine Konkurrenten durchgesetzt.
Wie dieser Siegeszug gelingen konnte, ist zwar schon mehrmals wissenschaftlich untersucht worden, aber nicht eindeutig erklärt worden. Es gibt drei Theorien.
Nach der ersten haben die Bäckermeister dem Hasen das Feld bereitet. Mangels Fingerfertigkeit sollen ihre Lämmer wie Hasen ausgesehen haben – bis sie dann auch als solche bezeichnet wurden.
Die zweite Theorie macht ein früher geltendes Privileg verantwortlich, das zu Ostern die Hasenjagd erlaubte.
Noch plausibler klingt die dritte Theorie. Sie verweist darauf, daß viele Völker – Griechen, Chinesen und Germanen etwa – den Hasen als Fruchtbarkeitssymbol betrachteten. Da sich Hasen im Frühjahr stark vermehren, paßten sie gut zu den Eiern, deren Zahl zu dieser Zeit so auffällig stieg. So war bald ausgemacht, daß Hasen Eier legen, und zwar nicht vor die Haustür, sondern mitten in die Natur. Fortan versteckte man die Ostereier unter Büschen und Bäumen und ließ die Kinder danach suchen.
Verspeist wurden dann nicht nur die hartgesottenen Eier, sondern auch ihre vermeintlichen Überbringer. Frauen erhofften sich vom Hasenbraten Schönheit und Mutterfreuden, Männer größere Zeugungskraft. Für die Kirche war das Festmahl hingegen ein Werk des Teufels. Schon Papst Zacharias (741 bis 752) hatte nicht nur den Genuß von Hasenfleisch, sondern auch jede Berührung mit dem Tier verboten. Der Popularität des Hasenbratens tat das aber ebensowenig Abbruch wie der des Eiersuchens.
Quelle: FAZ Nr. 87 vom 12.4.2000 (Thomas Gutschker)
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